Ausstellung Bildender Kunst | Programm 2020
26.07.2020 - 19.09.2020Archiv

„Hinter uns die Sintflut – Und dann? Was ist das – Zuhause?“

mit Anatoliy Babiychuk, Lisa Großkopf, Alexander Hinterlassnig, Val Wecerka

Hintergrund der Ausstellungsreihe

Ein „Open Call“ des Hauses Grünspan vom März 2019, der an die AbsolventInnenverbände der Akademie der Bildenden Künste, der „die Angewandte“ und der Universität für Kunst und Gestaltung Linz erging, richtete sich an junge KünstlerInnen mit abgeschlossener Kunstausbildung, die Interesse an einer Ausstellungsbeteiligung im Haus Grünspan haben und sich in ihrem Werk den gegenwärtigen Herausforderungen unserer Zeit aus einer
kultur- wie gesellschaftskritischen Perspektive widmen.

„Hinter uns die Sintflut – Und dann?“

Peter Sloterdijk lässt sein 2014 erschienenes Werk „Die schrecklichen Kinder der Neuzeit“¹) mit Madame de Pompadour beginnen:
Sie habe die Neuzeit mit dem folgenden bedeutenden Satz eingeleitet: „Hinter uns die Sintflut!“
Mit dieser verinnerlichten Haltung hätten die neuzeitliche Menschheit eine Nabelschnur durchtrennt, die Nabelschnur zu ihren eigenen Kindern.
„Hinter uns die Sintflut“ bedeutet nichts weniger, als es zu riskieren, dass die Sintflut über die Nachkommenschaft kommen kann.
Wurde im Rausch des sich selbst um die eigene Achse Drehens (rasender Stillstand im Gegenwärtigen) der Verbund zwischen den Generationen als Bezugnahme zu Vergangenem (den Vorfahren) und zur Projektion in die Zukunft (in Richtung der Nachfahren) einem unverbundenen Monaden-Dasein geopfert?

¹) Die schrecklichen Kinder der Neuzeit, Peter Sloterdijk; Suhrkamp Verlag Berlin 2014; Seite 31ff.

„Was ist das – Zuhause?“

„Was ist das …?“ weist darauf hin, was den eingereichten Positionen wie ein roter Faden oder eine neue DNA immanent ist: die Frage nach dem Verlust jener menschlichen Tradition, die Nachkommen mit gültigem Wissen über Lebenszusammenhänge versah, solange dieses Wissen von der nächsten Generation als wertvoll respektiert und für das eigene Leben verwertet werden konnte.
Mit der Reduktion der Halbwertszeit jeglichen Wissens auf momentane Zeitfenster geht den Generationen zunehmend die Möglichkeit verloren, sinnstiftendes kulturelles Wissen zu tradieren und einander dadurch dauerhaft und werthaltig zu vernetzen, im Sinne einer Geschichtsbildung über eine historische Verwurzelung über Generationen und damit Lebenszeiten hinweg.
Geschichte schreibt im beginnenden 21. Jahrhunderts der momentane Medienhype, der sich als Blase, Cloud… bezeichnen lässt.

Ausstellung I beleuchtet geografisch – historische Grenzen menschlicher Sozialisation.
Das „selbst“ nach innen und das „Selbstbild“ nach außen, die sich nicht nur am „Wer bin ich?“ sondern auch am „Woher komme ich?“ und „Wohin gehe ich?“ zu orientieren suchen.

KünstlerInnen

Anatoliy Babiychuk

Zur Serie „Bus stops 2010 – Series of 25 photographs (photographed on 4×5 inch colour negative film)“.
„In der früheren UdSSR waren Bushaltestellen individuell gestaltet, häufig anhand von Mosaiken.
Die Motive variieren von Workingclass Heroes, zum Beispiel Minenarbeitern oder Melkerinnen über Beamte,
Zöllner, Menschen in ganz normalen Berufen oder Müttern mit Kindern in idyllischen Landschaft bis hin
zu abstrakten Darstellungen. In dieser Serie habe ich die Bildsprache des Sowjetsystems zu analysieren versucht.
Welche Themen erschienen wert, weitergegeben zu werden?“

In der Ausstellung unter anderem noch zu sehen:
Zur Serie „The Garages of Chervonograd 2007-2012, Series of 244 photographs (photographed on 4×5 inch colour negative film)“:
Das Garagenviertel gibt es beinahe in jeder städtischen Umgebung der ehemaligen UdSSR. Erbaut ab den 1970iger Jahren,
wurden diese Orte mehr und mehr Rückzugsgebiete, vorwiegend für die männliche Bevölkerung, um sich selbst zu verwirklichen.
So entstanden Ateliers, Proberäume, Lagerplätze für Lebensmittel, Orte, um einander zu treffen, Alkohol oder sonstige Drogen zu konsumieren…
Die Fotos dokumentieren Konzepte individueller Freiheit in der Sowjetära und ihre Verwandlung in Post-Sowjetischer Zeit.“
(Übersetzung aus dem Englischen von Margot Fassler)

Biografie: geboren 1975 in Sosnivka, Ukraine (früher UdSSR), aufgewachsen in der Ukraine, lebt und arbeitet in Wien.
Studium der Bildenden Kunst und Fotografie an der Akademie der Bildenden Künste in Wien und an der Slade School of Fine Art in London.

Lisa Großkopf

„In den vergangenen Jahren habe ich an einigen Artist in Residence Programmen teilgenommen.
Eine der Arbeiten, die ich seit 2018 bei jeder dieser Auslandsaufenthalte mache, ist die Video-Performance »I should quit smoking«.
Bei dieser Arbeit blase ich einen Globus-Wasserball mit einem Durchmesser von einem Meter auf. Die überdimensionierte Größe des Plastikglobus‘
macht das Aufblasen zu einem Kraftakt, der mir viel Energie ab verlangt. Der Wasserball wird zum Symbol eines Work-Life-Blendings in der globalisierten Kunstwelt.
Schließlich schaffen diese Artist Residencies ein ambivalentes Verhältnis von Urlaub bzw. Freizeit und Arbeit und unterstützen den Mythos des
nomadisierenden Künstlers, der von einem eingeborenen, subjektiven Drang nach Ferne, Freiheit und Abenteuer angetrieben ist. Für mich als Teilnehmerin
dieser Programme stellt sich dann auch regelmäßig die Frage, wo eigentlich mein «zuhause« ist und wie ich diese temporären Wohnort zu diesem machen kann.“

Biografie: geboren 1989 in Wien; lebt und arbeitet in Wien;
2016 – 2019 Universität für angewandte Kunst Wien, TransArts;
seit 2014 Akademie der bildenden Künste Wien, Kunst & Kommunikation; seit 2014 Kunstuniversität Linz, Mediengestaltung;
2017 – 2018 Bezalel – Academy for Arts and Design Jerusalem, Fine Arts (MFA) (Gast-Aufenthalt); 2011 – 2016 Kunstuniversität Linz, Grafikdesign & Fotografie (BA/MA).

Alexander Hinterlassnig

„In Fortführung an meine Diplomarbeit „Gesellschaft der Praxis“, in der ich die Geschichte meines Heimatortes Arriach und im speziellen die meines
Elternhauses zum Thema nahm, ist es mein Anliegen, an diesem Ort weiter zu arbeiten und zu forschen. Ausgangspunkt war die Verfolgung und Vertreibung der
Protestanten im 17. und 18. Jahrhundert, aus dem sich während meiner Recherche die verheerenden Auswirkungen auf das Handwerk, im Besonderen das der Weber,
heraus kristallisierte und zum eigentlichen Thema wurden. Ich betreibe schon lange Ahnenforschung und versuche eine Art Archiv von Bildern und Geschichten unserer
Gegend anzulegen, auf dem mein künstlerischer Ansatz aufbaut. Das Ergebnis meines Vorhabens, sollte ein nachhaltiges Kunstprojekt eventuell im öffentlichen
Raum für die Ortschaft bzw. Gegend sein. Als Referenz dafür ist die Künstlerin Tamara Grcic mit ihrer Arbeit „46 Farben“ zu nennen. Des weiteren hat das
gesamte Werk von Theaster Gates mit seinem sozialen Anspruch einen großen Einfluss für mich.“

Biografie: geboren in 14.01.1987 in Villach, lebt in Arriach;
2006 – 2008 Kolleg für Innenraumgestaltung und Holztechnik an der HTL Villach mit Reife- und Diplomprüfung abgeschlossen;
2009 – 2010 Vergleichende Literaturwissenschaft an der Universität Wien;
2010 – 2016 Studium der Bildenden Kunst an der Kunstuniversität Linz, Abteilung Bildhauerei – transmedialer Raum;
seit 2016 als freischaffender Künstler und seit 2018 zusätzlich im Kulissenbau beim Ensemble Porcia tätig.

Val Wecerka

„What is home“ Wofür steht Heimat? Welche unbewussten Wünsche und Sehnsüchte verbinden sich mit Heimat?
Steht Heimat ausschließlich für regressive Wünsche oder lassen sich darin auch andere Bedeutungen erkennen?
Ich bin am schwarzen Meer geboren, kam 1992 nach Wien. Die einzige Möglichkeit, mit meinen Eltern zu kommunizieren, war, Briefe zu schreiben.
Ich nahm die Briefe zwischen mir und meinen Eltern, um sie als abstrakte Zeichen und Schriften darzustellen. Dann habe ich Gegenstände von
zu Hause mitgenommen, die in Zeitungspapier eingewickelt waren. Um die Erinnerungen festzuhalten, habe ich die alten Zeitungen auf der Leinwand platziert,
collagiert und eingefärbt. Nachdem ich mich mit der Handschrift auseinandergesetzt habe, bin ich zur Druckschrift übergegangen und das hat mich
zur absoluten Abstraktion geführt, wo ich Quadrate der Reihe nach aufklebe, die nicht mehr lesbar sind. Buchstaben werden zu Mustern.
Das zentrale Thema meiner Arbeit ist „Was ist ein Zuhause?“ beziehungsweise „Gibt es ein Zuhause?“. Briefe und Zeitungen aus längst vergangenen Tagen
sind ein Teil unserer Geschichte und Identität. Diese Zeitzeugen sind von erschreckender Aktualität.
In meinen Serien: „What is home“ „(Un)geschriebene Briefe“ „Eine blassblaue Schrift“, versuche ich dies künstlerisch zu bearbeiten, verarbeiten und umzusetzen.

Biografie: geboren 1973 in Burgas, Bulgarien; lebt und arbeitet seit 1992 in Wien/Österreich;
1993 – 1995 Modekolleg Herbstraße, Wien;
1995 – 2001 Studium der Malerei, Grafik und Tapisserie, Meisterklasse Christian Ludwig Attersee/ Universität für angewandte Kunst, Wien,
Diplom mit Auszeichnung (als Valentina Koleva);
2002 – 2005 Studium Textil – Freie, angewandte u. experimentelle künstlerische Gestaltung, Meisterklasse Barbara Putz – Plecko/ Universität für angewandte Kunst, Wien;
seit 2009 Mitglied des IG BILDENDE KUNST, Wien;
seit 2011 Mitglied des Künstlerhauses, Wien;
seit 2013 Mitglied der Gesellschaft der Freunde der bildenden Künste, Wien

Termine

Eröffnung am Samstag, 25. Juli 2020, um 19.00 Uhr
Die KünstlerInnen sind anwesend!

Musikalische Gestaltung: Bratko Bibič – Akkordeon & Dedley Woodleybears (A/CZ): Paul Schuberth – Akkordeon, Victoria Pfeil – Saxophon, Tomaš Novak – Violine

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